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Who der Bär fällt aus einem Handybildschirm mit diversen quadratischen App-Icons. Das Werk trägt den Titel „Who's in the Clouds?“.

© Andrea Rosetti

Simon Fujiwaras neueste Werke: Who der Bär sucht seine Identität – und wird am Ende Influencer

Ethnie, Geschlecht, Sexualität: Darüber zerbricht sich Who der Bär den Kopf. Der Künstler Simon Fujiwara trifft mit dieser Figur den Zeitgeist.

Der britisch-japanische Künstler Simon Fujiwara hat eine Märchenfigur erschaffen: Who the Bear. Und wie bei Märchenfiguren üblich, begibt sich der Bär auf eine Reise. Nicht um jemanden zu retten oder einen Schatz zu finden. Sondern um herauszufinden, wer er eigentlich ist, was ihn ausmacht und wer er sein kann.

Ist Who der Bär – man denkt natürlich an A.A. Milnes Kinderbuch-Kultfigur Pu der Bär –, nun männlich, weiblich, weder noch? Ist er schwarz oder weiß, schwul oder lesbisch, nur eine Kunstfigur oder auch eine Marke?

Und welche Rolle spielen die Sozialen Medien und das Internet bei der Identitätsbildung? Erkennbar von Who bleiben auf dieser Reise nur die Konturen eines gezeichneten Bärengesichts: die Stupsnase, die großen Ohren und zwei schwarze Knopfaugen.

Fujiwara hat Whos Reise begleitet; in der Berliner Galerie Esther Schipper lässt sich dies nun in der Ausstellung „Once Upon A Who?“ verfolgen. Mal findet sich der Bär vorne auf einem Pool- Sprungbrett – Who selbst aus weißem Papier, mit goldenem Herzen auf der Brust –, in einer Collage, die David Hockney nachempfunden ist. 

Oder in der Arbeit „Who’s in the Clouds?“ (Collagen ab 9000 Euro), bei der er aus einem Handybildschirm herausfällt, zusammen mit diversen quadratischen App-Icons von Instagram, Youtube, Tiktok, Linkedin, Snapchat oder Reddit.

Who der Bär ist jeder und niemand

Immer wieder nimmt Who auch die Gestalt bekannter Persönlichkeiten an, sei es die Queen, der Tech-Unternehmer Elon Musk oder der linke US-Politiker Bernie Sanders. Einmal wird Who auch zum Bestsellerautor: Das Gesicht des Bären prangt auf dem Buchcover von „Becoming“, den Memoiren von Ex-First-Lady Michelle Obama. Obamas Gesicht ist noch geisterhaft unter seinem Kopf zu erkennen („Becoming Who? A New York Times Bestseller“).

Simon Fujiwara lässt Besucher seiner Ausstellung „Once Upon A Who?“ an Whos Reise zur Selbstfindung teilhaben.
Simon Fujiwara lässt Besucher seiner Ausstellung „Once Upon A Who?“ an Whos Reise zur Selbstfindung teilhaben.

© Andrea Rosetti

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Wie ein Virus hat sich Whos Antlitz verbreitet: In abgewandelter Form – braun, mit drei weiß geschminkten Augen und einer heraushängenden Zunge –, taucht es auch in der Skulptur „Return to Who?“ auf, eine Anspielung an die Debatte um Raubkunst im Humboldt Forum und deren mögliche Rückgabe an die Herkunftsländer (Skulpturen ab 35.000 Euro).

Who taucht in allerlei Farben und Formen auf.
Who taucht in allerlei Farben und Formen auf.

© Andrea Rosetti

Das Thema Identität taucht in allen Facetten auf. Doch warum hat sich der Künstler ausgerechnet in der Pandemie damit beschäftigt? Fujiwara meint dazu im Gespräch: „Der erste Lockdown war sehr konfrontativ für mich. Die Welt hielt an und man war auf sich selbst zurückgeworfen. Die Gesellschaft blieb zuhause nur noch eine abstrakte Idee.“

„Die sozialen Medien wurden sehr ernst“

Bei der Identitätssuche probiert sich Who auch als umstrittenes Artefakt aus - eine eindeutige Referenz an die Debatten um Raubkunst.
Bei der Identitätssuche probiert sich Who auch als umstrittenes Artefakt aus - eine eindeutige Referenz an die Debatten um Raubkunst.

© Andrea Rosetti

Gleichzeitig seien die Menschen im ersten Lockdown bodenständig und zurückhaltend geworden. Die Einstellung sei verbreitet gewesen, man solle besser keine Bilder posten, mit denen man angibt oder sich selbst feier. „Die sozialen Medien wurden sehr ernst: Der Narzissmus war immer noch da, aber es gab neue Regeln.“

In „The Who in Who's Who?“ (Icons I) schlüpft Who in diverse Persönlichkeiten.
In „The Who in Who's Who?“ (Icons I) schlüpft Who in diverse Persönlichkeiten.

© Andrea Rosetti

Dieser Puritanismus hat laut Fujiwara Individualität in den sozialen Medien ausgelöscht und bildliche Monotonie befeuert. „Aber dennoch bekam die Black-Lives-Matter-Bewegung großen Rückenwind und die Genderdebatten nahmen Fahrt auf. Vieles davon geschah ausschließlich online, am Ende waren es Bilder auf einem Handydisplay.“

„Who's Bigger Splash“ ist ein klarer Verweis auf David Hockneys Werke.
„Who's Bigger Splash“ ist ein klarer Verweis auf David Hockneys Werke.

© Andrea Rosetti

Whos Reise enstpricht dem westlichen Zeitgeist, der um die Frage nach der Identität kreist. Dabei kann es um erodierende Geschlechternormen gehen, im weiteren Sinne auch um Minderheiten, die selbstbewusst Respekt, Gleichberechtigung und Anerkennung einfordern. 

In der „Whotique“ können Besucher:innen der Galerie Esther Schipper Merchandise mit Who-Motiv kaufen.
In der „Whotique“ können Besucher:innen der Galerie Esther Schipper Merchandise mit Who-Motiv kaufen.

© Andrea Rosetti

Who der Bär ist bereits eine gefragte Marke

Der 39-Jährige bespielt ein für ihn bekanntes Terrain: Im Londoner Tate Museum stellte Fujiwara bereits 2012 mit „Welcome to the Hotel Munber“ einen Nachbau der Hotelbar aus, die seine Eltern in Spanien betrieben hatten. Das Werk ist gespickt mit homoerotischen Bildern und macht auf die Unterdrückung und Zensur von Homosexuellen während der Franco-Diktatur in Spanien aufmerksam.

Während sich Fujiwara nun mit „Once Upon A Who?“ den drängenden Identitätsfragen der Gegenwart stellt, thematisiert er auch die Frage der Kommerzialisierung von Haltungen, von Kunst und Protest. In der „Whotique“, einer Art Buchladen in der Galerie können die Besucher Merchandisingprodukte mit dem Who-Motiv kaufen, T-Shirts, Poster oder Notizbücher.

Die Kleidungsstücke und Accessoires sind Teil einer limitierten Edition, die in Zusammenarbeit mit dem hippen Streetwear-Blog „Highsnobiety“ entstanden sind. Im Online-Shop ist Einiges bereits ausverkauft, etwa das Handtuch mit Who-Motiv im David-Hockney-Stil.

Ein identitätssuchender Bär, den eine Panikattacke ereilt, ist zum Markenzeichen eines kommerziell erfolgreichen Projekts geworden. Who wird Influencer – vielleicht gerade deshalb, weil er so authentisch verzweifelt wirkt.

Galerie Esther Schipper, Potsdamer Str. 81e, Bis 26.  2.; Di bis Sa 11  18 Uhr.

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